CCT-Reihe am Dies Academicus
"Die Antike und ihre Traditionen in einzelnen Wissenschaftsdisziplinen"
CCT-Vortragsreihe am Dies Academicus der Universität Bonn
Im Rahmen dieser vom Centre for the Classical Tradition organisierten Vortragsreihe werden Vertreter einzelner Fachdisziplinen Wirkung und Bedeutung der Klassischen Antike in ihrem Fach darstellen.
Die Vortragsreihe beginnt mit einem Vortragsblock auf dem Dies Academicus der Universität Bonn am 28.5.2008 und soll auf den folgenden Dies Academici fortgesetzt werden.
Dies Academicus, 2.12.2015
Prof. Dr. Rolf Lessenich (Englische Literaturwissenschaft)
Classical tradition, Faschismus und der Frühe Modernismus 1890-1930
Der Modernismus als geistes- und kunstgeschichtliche Strömung der beiden Jahrzehnte vor und nach dem Ersten Weltkrieg (Great War) definierte sich durch einen anti-dekadenten Vitalitätskult in Kombination mit einer Infragestellung überkommener Normen und Formen, und häufig auch mit experimentellem Malen und Schreiben. Wie der Dadaismus die Fragmentierung der Welt sichtbar zu machen, aber sie in der Kunst zu bündeln und so zu domestizieren, war ein Anliegen englischer Exponenten des Frühen Modernismus, James Joyce, T.S. Eliot und Ezra Pound, beeinflusst von Freud, Nietzsche und Bergson. Die Vorlesung will zeigen, wie diese Autoren zu diesem Zweck die Classical Tradition wiederbelebten, was sie in die Arme des Faschismus (vitalistische Kraft- und Machtbündelung) besonders Mussolinis trieb.
Dies Academicus, 3.12.2014
PD Dr. Thomas Riesenweber (Griechische und Lateinische Philologie):
Noctes Victorinianae
Der römische Rhetorikprofessor Marius Victorinus (ca. 285-365) gilt den Theologen als "Augustinus ante Augustinum", den Philosophen als "Boethius ante Boethium". Klassischen Philologen ist er bekannt durch seinen umfangreichen Kommentar zu Ciceros rhetorischem Jugendwerk De inventione, der bis in die frühe Neuzeit zu den bedeutendsten Lehrbüchern der Rhetorik zählte. Zum Abschluss eines 8-jährigen Editionsprojektes wird der Vortrag zeigen, wie man mit Hilfe von recensio und examinatio aus 60 erhaltenen mittelalterlichen Abschriften das verlorene Original des Kommentars rekonstruieren kann und was uns diese Rekonstruktion über den Rhetorikunterricht des 4. Jhs. verrät.
Prof. Dr. Marc Laureys (Griechische und Lateinische Philologie):
Grenzen und Entgrenzungen im Streit zwischen Erasmus von Rotterdam und Edward Lee
Edward Lee (c. 1482-1544) ist der erste Gegner, mit dem Erasmus von Rotterdam (c. 1467-1536) sich auf einen Konflikt einließ, der ihn über mehrere Jahre beschäftigte. In mehrfacher Hinsicht mutet dieser Konflikt höchst befremdlich an. Warum ließ sich der Prinz des nordeuropäischen Humanismus von einem bis dahin völlig unbekannten englischen Studenten provozieren? Warum zeigte sich Erasmus in dieser auf den ersten Blick rein philologischen Auseinandersetzung von seiner perfidesten Seite? Der Vortrag ist ein Versuch, vor dem Hintergrund der humanistischen Streitkultur Erasmus als Polemiker anhand eines spezifischen Streitfalles näher zu erfassen.
Dies Academicus, 4.12.2013
Prof. Dr. Dorothee Gall (Griechische und Lateinische Philologie):
Boccaccio und der antike Mythos
Vor 700 Jahren wurde Giovanni Boccaccio geboren, dessen Nachruhm sich vor allem auf der Novellensammlung des Decamerone gründet. Er selbst verstand sich aber in erster Linie als Humanist und eiferte in der produktiven Rezeption antiker Texte seinem bewunderten Freund Petrarca nach. Einen besonderen Einblick in Boccaccios Auseinandersetzung mit der Antike vermittelt sein Werk über die Stammbäume, Wirkungsbereiche und Attribute der heidnischen Götter (Genealogia deorum gentilium), in dem antike Mythologie, christliche Allegorese und ein humanistisch geprägtes Bild vom Menschen, von der Dichtung und von der Religion in einzigartiger Weise zusammenwirken.
Gastvortrag von Juan Matas Caballero (Universidad de León / Spanien): La poesía de José María Micó
Prof. Dr. Rolf Lessenich (Englische Philologie):
Das Artefakt ungelehrter Natürlichkeit: Romantische Dichter und der Klassizismus
Romantische Dichter, die in der Streitkultur der Zeit unter schwerstem Beschuss ihrer klassizistischen Gegner standen, inszenierten gerne Primitivität, Spontaneität, Regel- und Kunst- und Bildungsverachtung. Sie waren de facto jedoch sehr belesen, nicht nur in mittelalterlicher und neuzeitlicher, sondern auch in antiker griechischer und lateinischer Literatur. Als Lügner und Ignoranten diffamiert und in die Defensive gedrängt schrieben Robert Burns, Lord Byron, Thomas Campbell oder August von Platen immer wieder klassizistische Dichtung, und wechselten Byron, Heine oder Platen zeitweise gar polemisch ins Lager der Romantik-Gegner.
Dies Academicus, 19.5.2010
Prof. Dr. Howard Weinbrot (Department of English, University of Wisconsin-Madison):
Samuel Johnson Rebalanced: The Happy Man, Family, and Religion
Samuel Johnson dominated much of the intellectual and literary life of eighteenth-century Britain. Unfortunately, and in part (no) thanks to Boswell and other bio-graphers, he also has been dominated by clichés regarding his mental state, his fear of death, and his religion. So many commentators on Johnson characterize him as perpetually on the verge of madness, as haunted by dread of spiritual darkness, and as compensating for such fears with a reactionary High Church Anglican Christianity. A perpetual depressive, however, could not have achieved Johnson's extraordinary intellectual successes - whether his Rambler essays that were read throughout Britain and translated in several European countries, his Dictionary of the English Language that French critics thought superior to their own national dictionary or, among many other examples, his Lives of the Poets that remain the most important literary criticism in the English language. I intend to "rebalance" those aspects of Johnson's career. Johnson often was a beatus ille rather than a gloomy figure out of Samuel Beckett. To enlarge that happiness, he engaged himself in social acts with surrogate family in and out of his home. His religion was close to the main stream of lower church Anglican Protestantism, in which practical morality communicated in comprehensible prose, rather than doctrinal squabbles in baroque prose, was the norm.
Prof. Dr. Rolf Lessenich (Englische Philologie, Bonn):
The Origins of Psychoanalysis in Romanticism
Romanticism and psychoanalysis were the most innovative products of late eighteenth-century Dissent, the religious and aesthetic countervoice to the dominating Neoclassicism of the hegemonic Classical Tradition. Reacting against its dictates of reason, Preromantic philosophers, physicians, poets, and painters rebelled against the rule restricting them to general nature, by cultivating individualism, solitude, sensibility, self-introspection, and by directing their attention from the rational adult and his refined Augustan civilization to the more 'original' child, savage, and madman. Thus, Romanticism explored the unconscious long before Freud, and discovered the heterogeneous nature of man, the palimpsestic psyche, the diagnostic relevance of dreams, and childhood trauma.
Dies Academicus, 2.12.2009
Prof. Dr. Georg Schöllgen (Abt. Alte Kirchengeschichte und Patrologie):
Classical Tradition in der Kirchengeschichte des Altertums
Das Christentum ist nicht nur als eine religiöse Bewegung der Kaiserzeit entstanden, sondern hat wesentliche Elemente seiner heutigen Gestalt erst in der Auseinandersetzung mit der pagan geprägten Umwelt entwickelt. Der berühmte Bonner Kirchenhistoriker Franz Joseph Dölger hat die wissenschaftliche Aufarbeitung dieses Prozesses zu seiner Lebensaufgabe gemacht und unter das Motto "Antike und Christentum" gestellt. Der Vortrag will das Forschungsprogramm Dölgers, das Altertumswissenschaft und Kirchengeschichte verbindet, vorstellen sowie seine Fortführung und Weiterentwicklung im Reallexikon für Antike und Christentum vor Augen führen.
Dies Academicus, 28.5.2008
Prof Dr. Uwe Baumann (Anglistik: Literatur- und Kulturwissenschaft):
Die Rezeption der Klassischen Antike in der Literatur und Kultur Englands der Neuzeit
Die Geschichte der Rezeption der Antike (Sprache, Literatur und Kultur) in England zu erzählen, erzwingt das sofortige Eingeständnis, dass diese Geschichte, je näher wir der Gegenwart kommen, notwendig fragmentarischer wird und sich oft genug auf einige wenige exemplarische Beispiele wird beschränken müssen. Dies gründet zum einen in der unterschiedlichen Forschungssituation, zum anderen in den (im Grunde bereits ab dem 18. Jahrhundert zunehmenden) Schwierigkeiten, unmittelbare von medial vermittelter Antikenrezeption zu scheiden. Damit wäre zugleich eine kurze Geschichte der Rezeption der Antike angedeutet: von der in unmittelbarer Begegnung mit der antiken Kultur (u.a. Architektur, Kunst, Literatur) im Renaissancehumanismus wurzelnden Rezeption einer kleinen Gruppe von Gelehrten bis hin zur öffentlichkeitswirksamen medial vermittelten Rezeption in der Gegenwart (z.B. in Ridley Scotts Monumentalfilm Gladiator [2000]). Im Zentrum der Vorlesung werden zentrale Aspekte und repräsentative Beispiele primär des 16. und 20. Jahrhunderts stehen.
Prof. Dr. Marc Laureys (Lateinische Philologie des Mittelalters und der Neuzeit):
Die Rezeption der Antike in der Mittellateinischen Literatur
Die mittellateinische Literatur ist in vielfacher Hinsicht durch das antike Erbe geprägt. Die sprachliche und literarische Ausbildung wurde im mittelalterlichen Schulwesen wesentlich auf der Grundlage antiker Texte durchgeführt und diese Beschäftigung mit der antiken Literatur hat in den Schriften mittellateinischer Literaten nachhaltige Spuren hinterlassen. Trotzdem war Antikenrezeption in der mittellateinischen Literatur und Kultur niemals völlig selbstverständlich und unproblematisch, weil immer eine gewisse Inkompatibilität zwischen paganer Antike und christlichem Mittelalter zu berücksichtigen und zu überwinden war. In diesem Vortrag wird versucht, einige wesentliche Merkmale und charakteristische Erscheinungsformen des Umgangs mit der Classical Tradition in der mittellateinischen Literatur zu beschreiben und zu erläutern.
Prof. Dr. Christian Schmitt (Romanische Philologie):
Die Antike und ihre Tradition in der Romanistischen Sprachwissenschaft
Die Romanistik hat sich bisher in erster Linie mit dem (vulgär) lateinisch-romanischen Kontinuum befasst und in der Tradition der von der Romantik ausgebildeten und bestimmten Philologie den kulturellen Beitrag des Lateins vernachlässigt. Noch immer gliedern die etymologischen Standardwerke gelehrten Wortschatz aus, die Integration von Latinismen bildet nur selten Objektbereiche der Forschung. Gegenstand des Vortrags sind eine kritische Sichtung der antiken wie der (als Fortsetzer wirkenden) mittel- und neulateinischen Tradition in den größeren romanischen Sprachen und die globale Darstellung des Beitrags, der vom griechisch-lateinischen Kulturadstrat für den Auf- und Ausbau gerade der modernen romanischen Nationalsprachen geleistet wird, deren Aktualisierung beim sprachlichen Handeln neue Sprecherkompetenzen erforderlich macht.