Traditionen okzidentaler Streitkultur: Formen, Sphären und Funktionen des öffentlichen Streits

Die Wissenschaftler:innen des Centre for the Classical Tradition setzten einen Forschungsschwerpunkt auf »Traditionen okzidentaler Streitkultur. Formen, Sphären und Funktionen des öffentlichen Streits – Western Traditions of Arguing. Forms, Spheres, and Functions of Public Dispute« (2006–2008). Die Expertise der beteiligten Forscher:innen floss in der Folge auch in das Leverhulme International Network »Renaissance Conflict and Rivalries: Cultural Polemics in Europe, c. 1300–c. 1650« ein.

Projektbeschreibung

Streitkultur stellt sich als ein durchgängiges Phänomen der westlichen Kultur dar, wobei Stellenwert und Grenzen des Streites im öffentlichen Raum je nach gesellschaftlichen Bedingungen stark variieren. Die Forscher:innen haben sich zum Ziel gesetzt, Merkmale und Erscheinungsformen der Streitkultur im Spektrum von politischen über weltanschauliche bis zu ästhetisch motivierten Formierungsprozessen zu eruieren. Hierfür werden über die verschiedenen Epochen und geistigen Milieus hinweg Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den soziokulturellen Rahmenbedingungen beobachtet sowie Formen und Funktionen der Streitkultur im Spannungsfeld zwischen Kontinuität und Wandel exploriert.

Streit in öffentlichem Kontext vollzieht sich niemals allein zwischen den beiden Streitparteien, sondern stets ist eine dritte Instanz, ein Publikum in Schiedsrichterfunktion, im Blick, vor dem und für das sich die Streitenden in Szene setzen. So trägt Streitkultur einen eminent performativen Charakter. Als ein vierter Pol in diesem Kommunikationsgefüge ist die Classical Tradition zu berücksichtigen, da die Akteure in den hier benannten Situationen ihren Streit – mehr oder minder bewußt – in Auseinandersetzung mit dieser Tradition ausgetragen haben.

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Tagungen

Das CCT hat zwischen 2006 und 2008 drei Tagungen in Bonn abgehalten:

  • 1. Bonner Symposion »Streitkultur« (Universitätsclub Bonn, 10.–11. Februar 2006)
  • Grenzen des tolerablen Streits: 2. Bonner Symposion zur Streitkultur (Universitätsclub Bonn, 01.–02. Februar 2008)
  • Interdisziplinäre Tagung »Die Kunst des Streitens: Inszenierung, Formen und Funktionen des Streits in historischer Perspektive — The Art of Arguing: Performance, Forms, and Functions of Dispute in Historical Perspective« (Poppelsdorfer Schloss, 27.–29.11.2008)

Die Tagungsprogramme stehen rechts zum Download zur Verfügung.

Publikationen

Aus den Forschungsaktivitäten sind drei Sammelbände in der CCT-Reihe »Super alta perennis« hervorgegangen:

Streitkultur: Okzidentale Traditionen des Streitens in Literatur, Geschichte und Kunst, hg. von Uwe Baumann, Arnold Becker und Astrid Steiner-Weber, Göttingen: Bonn University Press 2008 (Super alta perennis 2)

Öffentliche Streitkultur als konstitutives Merkmal der demokratischen westlichen Gesellschaften ist keineswegs eine moderne Entwicklung, sondern beruht auf Traditionslinien, die bis in die Antike zurückreichen. Die aus zwei Symposien der interdisziplinären Bonner Forschergruppe »Traditionen okzidentaler Streitkultur« stammenden Beiträge des vorliegenden Bandes nähern sich der Streitkultur sowie ihren jeweiligen Grenzen aus historischer, sprach-, literatur- und kulturwissenschaftlicher, soziologischer, philosophischer und rechtshistorischer Perspektive. Die Streitphänomene, die das gesellschaftlich und kulturell relevante Themenfeld von politischen Formierungsprozessen über weltanschauliche Identitätsbildung bis zu den formal-ästhetisch künstlerischen Dimensionen des Streitens abdecken, zeigen exemplarisch, dass nur Streit, der Kultur hat, auch Kultur schafft.

Ästhetik des Charakteristischen. Quellentexte zu Kunstkritik und Streitkultur in Klassizismus und Romantik, hg. von Roland Kanz und Jörg Schönwälder, Göttingen: Bonn University Press 2008 (Super alta perennis 3)

In der Kunstdiskussion um 1800 wird das »Charakteristische« zum Leitthema. Das Charakteristische wird als Wesenskategorie des Kunstwerks und die Charakteristik als Urteilsverfahren diskutiert. In diesem Diskurs wird versucht, sämtliche Freiräume zwischen dem Idealschönen und dem Hässlichen für die Literatur- und Kunstkritik auszuloten. Um 1800 steht nicht länger das klassizistisch Idealschöne im Vordergrund der ästhetischen Debatte, sondern das Verlangen, das Eigentümliche und vor allem auch das historisch bedingte Individuelle in der künstlerischen Gestaltung beurteilen zu können. Streitbar widmen sich Autoren wie Hirt, Goethe, Schlegel, Fernow, Schelling, Hegel und Solger dem Charakteristischen. Anhand einer chronologischen Anordnung der Texte, die erstmals die Abfolge von Schrift und Gegenschrift rekonstruiert, lässt sich diese Debatte gut verfolgen und kommentieren.

Die Kunst des Streitens: Inszenierung, Formen und Funktionen öffentlichen Streits in historischer Perspektive, hg. von Marc Laureys und Roswitha Simons, Göttingen: Bonn University Press 2010 (Super alta perennis 10)

Streit als ein Mittel zur Aushandlung von Interessenskonflikten ist eine Konstante menschlicher Gemeinschaft. So verwundert es nicht, dass Streit, beginnend mit Kain und Abel oder dem Zorn des Achill, von den ersten Anfängen an ein fortwährendes Thema der europäischen Kultur ist. Jenseits von Krieg und Gewalt enthält Streit auch kreatives Potenzial, was sich in den verschiedensten Gattungen fiktionaler und non-fiktionaler Literatur offenbart. Hier wird bald Streit im intellektuellen Spiel nach allen Regeln der Kunst in Szene gesetzt, bald wird die Literatur im Kontext religiöser, kultureller und politischer Formierungsprozesse zum Instrument schärfster Auseinandersetzung. Dieser Band ist dem Inszenierungscharakter literarischer Streitkultur und seiner Funktionalisierung in gesellschaftlichen Veränderungsprozessen gewidmet; aus historischer, literatur- und sprachwissenschaftlicher Perspektive werden Beispiele von der Antike bis zur Frühen Neuzeit untersucht.

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